Samstag, 30. April 2011

Ein Portrait

(von www.apotheken-umschau.de)
Sie sitzt in ihrer Küche und ihre Hände sind in ihrem Schoß verschränkt, gute Hände, faltige Hände mit gelegentlichen Altersflecken. Ihr Blick ist entschlossen, ein bisschen traurig und nach innen gerichtet und irgendwie fühlt sie sich alt und schwach. Etwas neues anzufangen käme für sie nicht in Frage denn schließlich hat sie schon so viel gemacht in ihrem Leben, da braucht es nicht noch etwas Neues dazu. In der Stille hört man eine Uhr ticken, nur eine Uhr. Hin und wieder führt sie die Tasse zum Mund und trinkt den heißen Kaffee in kleinen Schlucken. Gestern war die Friseurin da und hat ihr die Haare gewaschen und gelegt: das weiße Haar liegt in sanften Wellen um den Kopf, da hat sie Freude dran, und schließlich muss sie heute noch zum Zahnarzt, da will sie doch ordentlich aussehen. Ihr Blick schweift aus dem Fenster, etwas Müdes hat das, wie sie sich plötzlich mit der Hand übers Gesicht fährt. Kartoffeln schälen wird sie jetzt gleich, für ihren jüngeren Sohn, da muss man doch helfen, schließlich hat man außer den Kindern ja niemanden. Jeden Tag schält sie die Kartoffeln, die werden an Heime und Hotelküchen geliefert, ihr Mann und die drei Exalkoholiker die unter ihrem Dach leben, helfen auch. Die drei da muss man schließlich beschäftigen, sonst kommen sie noch auf dumme Gedanken, sowas, einmal ist der eine durchs Dorf gelaufen und hat die Leute beleidigt, das geht doch wohl nicht. Der Sohn freut sich, billige Arbeitskräfte sind das, während er sich ein schönes Leben von dem verdienten Geld macht, bekommen die Kartoffelschäler nichts, aber das scheint sie nicht zu stören.
Eine schöne Frau ist sie wohl mal gewesen, auch wenn ein Zug Härte durch ihr Gesicht geht. Man weiß nicht ob das Leben ihr diese Härte gegeben oder ob sie sich selbst dafür entschieden hat. Lange ist sie Wirtin gewesen, hat eine gutgehende Gastwirtschaft im Ort geführt. Von nah und fern sind sie zu ihr gekommen, und nie hat es eine Prügelei gegeben, da ist sie immer vorher dazwischen und hat geschlichtet. So ist sie eben. Die Gastwirtschaft hat sie dann aufgegeben, es ging einfach nicht mehr, alles zu viel. Auch mit Leuten von früher will sie keinen Kontakt, irgendwie erscheint ihr das alles zu anstrengend und wenig lohnend, was sollen ihr solche Bekanntschaften schon bringen? Daß man sich einfach mögen kann und das Beisammensein ohne jede Absicht genießt, liegt ihr wohl sehr fern. Stolz ist sie da drauf, daß sie Niemanden braucht und jeden Tag ihre Arbeit macht, für "ihre Männer" sorgt und alles sauber hält. Nur das mit dem Kochen ist so eine Sache, das verabscheut sie und macht es nur noch mit Widerwillen. Sowas. Ja, wie das Leben so spielt, man kann es sich schließlich nicht aussuchen: zwei Söhne und nicht ein Enkelkind. Sie beteuert daß ihr das nichts ausmacht- aber der Hund der kürzlich gestorben ist, der fehlt ihr. Dabei tupft sie sich mit dem Taschentuch den Augenwinkel. Den Hund vermisst sie wirklich. Ihr Mann will nicht nochmal einen Hund, aber sie wartet nur darauf daß ihr irgendwo wieder so ein Tier begegnet, so wie ihre Lorca, die alte Hündin, die wegen Arthrose eingeschläfert werden musste weil sie nicht mehr laufen konnte. Dann will sie gleich zuschlagen und den Hund zu sich holen, ihr Mann wird sich dann damit schon abfinden.
So ein Leben führt sie: ein stilles, unaufwändiges, ein arbeitsames und in sich gekehrtes. Was braucht es da schon die Tageszeitung? Schließlich erfährt man ja alles auch aus dem Fernsehen. Und dieses Radiogedudel nervt sie nur, wer braucht sowas schon? Ganz stolz ist sie dadrauf, daß ihr Ältester ein ganz Stiller geworden ist, und auch wenn die Söhne nichts Großes erreicht haben, für die wird sie immer da sein und erwartet nichts dafür. Wie sie eben sind, diese alten Mütter. Manchmal widerspricht sie schon mit dem nächsten Satz ihrem vorherigen, wenn sie nachträglich zu erklären versucht wie alles "eigentlich" sein sollte, wie es aber niemals ist weil es eben schon anders ist, so wie es eben gehört, in ihrer Welt.
Ein schönes Bild gibt sie ab, wie sie da stille mit ihrem Mann in ihrer Küche voller Deckchen und Nippeskram sitzt, alles an seinem Platz, und mit vorsichtigen Schlucken den heißen Kaffee trinkt.
Die Stoffblumen scheinen leise zu knistern und die Eulen und Hexenfiguren die sie allenthalben sammelt, wispern leise Geheimnisse eines anderen Lebens, das sie vielleicht hätte führen können, wenn... ja, wenn nicht alles anders gekommen wäre - so wie es eben ist.

© Ellen Gross - 28.04.2011

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